ANALYSEMODELL – LESEPROBE
Billy Elliot – I Will Dance
Story
Der 11jährige Billy Eliot wächst 1984 im freudlosen proletarischen Bergarbeitermilieu von Durham Coalfield auf, wo Jungs in seinem Alter zum Boxen gehen. Das Leben der Familie Elliot ist seit dem Tod von Billys Mutter vom Kampf ums Überleben geprägt. Der Vater hat sein Herz verschlossen, der ältere Bruder Tony ist voller Wut und lädt diese gern auf den jüngeren Billy ab. Nur die fast taube Großmutter ist für Billy da. Durch einen Zufall gerät Billy in den Ballettunterricht von Mrs. Wilkinson, zu dem nur Mädchen kommen. Billy entdeckt seine Leidenschaft für das Tanzen, die er vor seiner Familie geheim halten muss. Ballett ist für den Vater und den Bruder „schwul“ und unmännlich. Gegen den Widerstand seiner Familie erkämpft sich Billy den Freiraum zum Tanzen, weil er seinen Gefühlen hier Ausdruck geben kann und glücklich ist.
Parallel zu Billys Geschichte geraten sein Vater und sein Bruder Tony in einen Bergarbeiterstreik und die Konflikte zwischen ausgesperrten und streikbrechenden Bergarbeitern. Spät, aber noch nicht zu spät, begreift der Vater, dass Billy eine große Begabung für das Ballett besitzt und dass ihm dieses Talent zu einem sozialen Aufstieg verhelfen kann. Um seinem Jungen die Aufnahmeprüfung in London finanzieren zu können, verletzt er seine eigenen Ideale und wird zum Streikbrecher. Dieser Verrat stürzt den Vater und auch Tony in Verzweiflung. Zugleich aber ermöglicht er der Familie wieder zusammenzuwachsen, denn die ganze Familie nimmt jetzt Anteil an Billys Chance.
Schließlich wird Billy an der Londoner Ballettschule angenommen. Während es für den Vater und Tony keine Zukunft als Bergarbeiter mehr gibt, hat Billy den Absprung aus seinem Milieu geschafft. Am Ende sehen Vater und Bruder Billys erste Premiere als Solotänzer.
Dramaturgie
Die Geschichte ist als Dreiakter in geschlossener Dramaturgie erzählt. Der Protagonist Billy Elliot verhält sich ungewöhnlich lange passiv, indem er seine Leidenschaft für das Ballett zu verbergen sucht und damit dem Konflikt ausweicht. Dies ist aber durchaus glaubhaft gebaut, weil aus Billys Perspektive der Vater eine übermächtige Persönlichkeit ist, dessen Willkür er wehrlos ausgeliefert ist und vor dem er seine Leidenschaften und Gefühle verbergen muss. Erst in den Steps 7 und 8 (2. Akt/2. Teil) wird Billy von seinem Vater gezwungen, sich der Auseinandersetzung offen zu stellen.
Bemerkenswert ist auch, dass Vater und Bruder als Antagonisten beim Impuls 9 (Plot Point II) verloren gehen und sich auf die Seite des Protagonisten Billy stellen. Der Antagonist wird hier also nicht besiegt, sondern überzeugt und wechselt die Seite. Dabei wird der innere Konflikt des Vaters so erzählt, dass der Zuschauer für den Antagonisten durchaus Verständnis und Mitgefühl entwickelt, so dass sein Zusammenbruch im Impuls 9 (Plot Point II) tief berührt.
In Step 1 (Ende/3. Akt) bekommt Billy seinen Bescheid, versöhnt sich mit dem Vater und verlässt die Familie. Dann gibt es einen enormen Zeitsprung von mehreren Jahren. Vater und Bruder besuchen den inzwischen erwachsenen Billy am Tag seiner ersten großen Premiere.
Figurenkonstellation
Der Film hat eine sehr klare Figurenkonstellation. Der Protagonist Billy ist eine leidenschaftliche Vier mit Tendenz zur Fünf. Er steht in Beziehung zu drei anderen Hauptfiguren. Sie alle gehören dem Bauch-geprägten Untertyp an. Als Antagonisten treten der Vater auf, eine aggressive dominante Acht, und der Bruder Tony, eine allein auf sich bezogene Eins. Zwischen ihnen steht Mrs. Wilkinson, die Billy zur Seite steht und sich um Vermittlung bemüht, wobei sie ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellt.
CHARAKTERANALYSE
Billy (Charakter 4 – mit Tendenz 5)
Billy ist anders als die anderen. Er ist ein zarter, sensibler Junge, der seine Liebe und Leidenschaft für das Ballett entdeckt. In seinem Umfeld, einer Bergarbeiterfamilie Mitte der 1980er Jahre, gilt das als nicht normal. Und was nicht normal ist, wird mit Schlägen und brutalen Erziehungsmethoden bekämpft. Billy kann aber nicht anders als tanzen, denn er hat darin eine Möglichkeit gefunden, seinen unterdrückten Gefühlen Ausdruck zu geben. Das Ballett wird für ihn lebensnotwendig.
In der feindlichen und freudlosen Familie Elliot fehlt die fürsorgliche und ausgleichende Mutter, deren früher Tod Billys Trauma ist. Ihren Abschiedsbrief kann er auswendig. Auf sie projiziert er seine Sehnsüchte und im Impuls 6 begegnet er sogar ihrem Geist.
Billys Traum, Balletttänzer zu werden, scheint ganz und gar unrealistisch zu sein. Wie entfernt er durch seine Sozialisierung der Welt der Hochkultur ist, zeigt sich besonders im Impuls 9, wenn er an der Ballettschule durch sein proletarisch geprägtes Verhalten auffällt. Er passt weder in sein Herkunftsmilieu, noch in das der Ballettschule. An dieser Stelle, nachdem Billy sich schon in seiner Familie und seinem Umfeld mit seinem Anderssein durchgesetzt hat, erscheint sein Lebenstraum noch einmal ganz unrealistisch. Nur sein außergewöhnliches künstlerisches Talent öffnet ihm schließlich die Tür in eine andere Welt.
Im Laufe des Films macht Billy einen großen Reifeprozess durch. Anfangs ist er ein leidendes unterdrücktes Kind, dessen Wünsche von niemandem wahrgenommen werden. Mit großer Disziplin arbeitet er an seinem Lebenstraum und lernt, sich dazu in einer feindlich gesinnten Umgebung zu bekennen. Am Ende des Films erscheint ein erwachsener Billy als reife und schöpferische, in sich ruhende Persönlichkeit.
Billy ist eine klassische Vier, aber mit einer Tendenz zur Fünf, denn anfangs ist er isoliert, kontaktscheu, behält seine Erlebnisse für sich, später wird er eigenwillig und schließlich erweist sich sein Talent als überdurchschnittlich.
Vater (Charakter 8)
Billys Vater ist extrem dominant und übt die Kontrolle über die ganze Familie aus. Er sieht sich als Oberhaupt, der das Schicksal der ganzen Familie in seiner Hand hält. Dafür fordert er von allen Respekt ein. Wenn seine Söhne Tony und Billy ihm nicht folgen wollen, zwingt er sie mit Schlägen und brutalen Erziehungsmethoden auf seine Linie. Mit seiner Herrschsucht überschreitet er ständig Grenzen und verletzt seine Söhne, deren Achtung er eigentlich haben will.
Er ist stolz auf seinen Bergarbeiterberuf und deshalb mit Leib und Seele Gewerkschafter. Der Streik ist für ihn nicht nur ein Kampf um die materielle Existenz, es geht auch um seine Ehre und um Gerechtigkeit. Die Gesellschaft in Form der konservativen Thatcher-Regierung versucht mit Aussperrung den Willen der Streikenden zu brechen und wenn der Vater etwas wirklich nicht zulassen kann, dann ist es genau das. Um so mehr bricht es ihm das Herz, wenn er im Impuls 9 (Plot Point II) selbst zum Streikbrecher wird.
Die nach außen getragene Härte des Vaters verbirgt aber ein weiches Herz, zu dem er erst spät wieder Zugang findet. Der frühe Tod seiner Frau, die Last der materiellen Not und das Gefühl der Verantwortung für die ganze Familie haben den Vater emotional erstarren lassen. Erst das Aufbegehren beider Söhne führt dazu, dass der Vater den Zugang zu seinem Herzen wiederfindet und seine Kraft nun selbstlos in den Dienst von Billys sozialem Aufstieg stellt. Mit der gleichen Leidenschaft, mit welcher der Vater lange Zeit Billys Leidenschaft zum Ballett zu unterdrücken versuchte, fördert er nun seinen Sohn. Am Ende sehen wir einen müden, gebrochenen Mann, der aber stolz ist auf seinen Sohn Billy.
Tony (Charakter 1)
Tony ist eine Eins im Ausnahmezustand. Er sehnt sich nach nichts weiter als nach Ordnung – in der Familie, in seiner Existenz als Bergarbeiter, in der Gesellschaft. Er will ein ordentlicher Bergarbeiter werden wie sein Vater und er will dafür anerkannt werden. In der Zeit der Filmhandlung ist jedoch alles außer Kontrolle geraten und das macht ihn zornig. Sein Vater ist ein Despot, sein jüngerer Bruder ist auf Abwegen. Die Arbeit wird ihm durch Aussperrung verwehrt und die Regierung setzt berittene Polizei gegen die streikenden Arbeiter ein. Seine Unzufriedenheit mit allem äußert sich in kleinen und großen Wutausbrüchen und führt zu seiner Emanzipation vom übergriffigen Vater. Tony reift, indem er die Verzweiflung des Vaters erkennt und anzunehmen lernt. Und er reift, indem er Billys Anderssein zu akzeptieren lernt, obwohl es seinen eigenen Lebensansichten widerspricht.
STRUKTURANALYSE
Step 1 – Anfang (Minute 1–10)
Einführung der Hauptfiguren. Existenznot und Lieblosigkeit prägen die Familie Elliot. Der Streik. Billy entdeckt zufällig seine Neigung zum Ballett.
Step 2 – Störung (Minute 11–20)
Billy geht heimlich zum Ballettunterricht und denkt über sich nach. Er tanzt durch die Stadt und merkt, dass er seine Gefühle im Tanz ausdrücken kann. Glücksgefühl und Leidenschaft.
Impuls 3 – Herausforderung (Minute 21–30)
Streik und Streikbrecher. Der Vater verbietet Billy das Ballett. Billy schreit seinen Vater an, dass er ihn hasst und flieht zu Mrs. Wilkinson.
Step 4 – Widerstand (Minute 31–40)
Die Familie von Mrs. Wilkinson – Elend auf höherer Stufe. Mrs. Wilkinson schlägt Billy Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung an der Ballettschule vor. Billy hat Hoffnung, auf diese Weise seiner Familie zu entfliehen. Abschiedsbrief seiner Mutter: „Bleibe stets Du selbst!“
Step 5 – Optimieren (Minute 41–50)
Gewaltsame Auseinandersetzung des Vaters mit Tony. Der Vater verliert die Kontrolle über ihn. Billy durchschaut Mrs. Wilkinsons Ehrgeiz, was zu einem Streit führt. Sie erzählt ihm von SCHWANENSEE. Billy sieht den Geist seiner Mutter.
Impuls 6 – Höhepunkt – Variante A) Scheitern (Minute 51–60)
Polizeirazzia. Tony provoziert und wird brutal verhaftet. Ohnmacht über die Verhältnisse. Billy verpasst seine Prüfung. Mrs. Wilkinson stellt den Vater zur Rede. Dieser demütigt Billy, indem er ihn zusammen mit Tony zwingt, auf dem Tisch zu tanzen. Billy zeigt in dem Tanz seine ganze Verzweiflung. Großer Zeitsprung.
Step 7 – Erwachen (Minute 61–70)
Das Klavier wird verheizt. Totale Hoffnungslosigkeit am Heiligabend. Der Vater entdeckt Billy beim Ballett. Billy versteckt sich nicht mehr, sondern verleiht seinem Trotz Ausdruck in einem Tanz. In seinem emotionalen Tiefpunkt begreift der Vater plötzlich, dass er Billys Talent fördern muss. Er will jetzt Verantwortung übernehmen.
Step 8 – Energie (Minute 71–80)
Der Vater wird zum Streikbrecher, um Billy zu helfen. Tony entdeckt den Verrat des Vaters und er stützt ihn im Moment des persönlichen Zusammenbruchs. Billy und sein Vater reisen nach London zur Aufnahmeprüfung. Eine feine, sehr fremde Welt. Billy hat Angst zu versagen.
Impuls 9 – Entscheidung (Minute 81–90)
Die Aufnahmeprüfung. Im Affekt schlägt Billy einen Mitbewerber. Das Ergebnis der Prüfung ist zunächst unklar. Abwarten, Ungewissheit, Zweifel. Alle stehen Billy jetzt bei. Dann der ersehnte Brief – die Zulassung zum Ballettstudium. Zeitgleich endet der Streik mit einer Niederlage der Bergarbeiter. Erste Umarmung Billys mit seinem Vater.
Step 1 – Ende (Minute 90–100).
Billys Abschied – von der Familie, der Heimat, der Kindheit. Wehmut und Hoffnung. Erste Schicht nach der Streikniederlage. Zeitsprung. Der Vater und Tony kommen zu Billys erster großer Premiere – SCHWANENSEE.
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